Die letzten Byzantiner – Die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer

Die letzten Byzantiner – Die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer

Auf Einladung der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Hamburg e.V. (1918) kam der Berliner Autor und Journalist Mirko Heinemann am 8. November 2022 nach Hamburg, um in der Staats- und Universitätsbibliothek sein Buch „Die letzten Byzantiner – Die Vertreibung der Griechen vom Schwarzen Meer“ vorzustellen.

Das Plakat der Veranstaltung

„Diese Lesung stand schon lange auf den Veranstaltungsplänen der Gesellschaft, musste aber während der Pandemie immer wieder verschoben werden“ vermerkte in seiner Begrüßung der amtierende Vorsitzende der Gesellschaft Pantelis M. Pantelouris und fügte hinzu: „Wir wollten dieses Buch unbedingt 2022 vorstellen, weil dieses Jahr ein besonderes Datum für Griechenland ist. Im Jahr 2022 jährt sich nämlich zum 100. Mal das Ende des erfolglosen Krieges zwischen Griechenland und der Türkei, der als „die kleinasiatische Katastrophe“ in die griechischen Geschichtsbücher einging. Die Folge war der Bevölkerungsaustausch zwischen beiden Ländern, in dessen Rahmen 1,2 Millionen kleinasiatische Griechen ihre Heimat verlassen und als Flüchtlinge nach Griechenland umsiedeln mussten!“

Pantelouris: „Nach 3000 Jahren erlosch die griechische Sprache und Kultur von der Küste Kleinasiens“ / Photo: dgg-hh

Für die Griechen bedeutet also das Jahr 1922 die folgenschwerste Katastrophe, die sie in ihrer Jahrtausende währenden Geschichte erlebt haben. Denn ab diesem Datum gibt es – zum ersten Mal seit 3500 Jahren – keine griechischen Siedlungen mehr auf der östlichen Seite der Ägäis, in der Jahrtausende lang die griechische Kultur blühte, und in der die griechische Sprache seitdem nicht mehr gesprochen wird.

Zahlreiche Mitglieder und Freunde kamen in die Staats- u. Universitätsbibliothek / Photo: dgg-hh

Während der Genozid an den Armeniern in der ganzen Welt bekannt ist, wissen die meisten Menschen in Europa über die Tragödie der Schwarzmeer-Griechen zu wenig. Dabei ist sie ein Kapitel europäischer Geschichte, das bis heute das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei – aber auch zwischen der Türkei und Europa – prägt.

Mirko Heinemann / Photo: dgg-hh

Im Mittelpunkt des erzählerischen Interesses von Mirko Heinemann steht die Kleinstadt Ordu, das Cotyoron der Antike, an der pontischen Schwarzmeerküste. Ordu ist die Geburtsstadt seiner Großmutter Alexandra. In Ordu begann die Vertreibung der türkischen Griechen, die seit dem 8. Jahrhundert vor Christus an der kleinasiatischen Schwarzmeerküste gelebt und die Region kulturell intensiv geprägt hatten.

In seinem Buch schildert der Enkel, hundert Jahre nach der Vertreibung der Großmutter Alexandra, seine Reise an die Orte ihrer Kindheit und ihres Exils und erinnert an das tragische Schicksal der Griechen am Schwarzen Meer.

Ordu, das Cotyoron der Antike, eine Kleinstadt an der Schwarzmeerküste / Photo: Archiv Heinemann

Der Beginn der Flucht aus Ordu

Das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg: Am Abend des 9. August 1917 schießen Kriegsschiffe des verfeindeten Russlands die Kleinstadt Ordu an der Schwarzmeerküste in Brand. Da die christlichen Minderheiten des Reichs verdächtigt werden, den Kriegsgegner insgeheim zu unterstützen, fürchten die ortsansässigen Griechen die Rache ihrer türkischen Nachbarn. Panisch versuchen sie, an Bord der Schiffe zu gelangen. Eine, die es schafft, ist die 15-jährige Alexandra. Doch ihre Heimat sieht sie niemals wieder.

Das griechische Viertel von Ordu nach der Räumung, circa 1925 / Photo: Archiv Heinemann

Mirko Heinemann erzählt in seinem Buch, wie Griechen seit der Antike an den kleinasiatischen Küsten lebten, mit Byzanz das Erbe Roms antraten, bis sie in den letzten Jahren des Osmanischen Reichs erst dem aufgeschaukelten Nationalismus und schließlich den Interessen der Großmächte zum Opfer fielen. Eine hierzulande fast vergessene Geschichte, die bis heute das Verhältnis zwischen der Türkei und Europa prägt.

Es war die Zeit, in der meine Großeltern den Orient hinter sich ließen und Europa erreichten, räumlich wie kulturell. Es war die Zeit, in der beide Staaten, Griechenland wie auch die Türkei, endgültig zu dem wurden, was sie heute sind: Nationalstaaten, die von ihrer ethnischen Vielfalt und ihrer gemeinsamen Geschichte nichts mehr wissen wollten.

Mirko Heinemann

Eine lebhafte Diskussion folgte der Lesung

Nach der Lesung folgte eine lebhafte Diskussion – Prof. Moennig (li) – Heinemann / Photo: dgg-hh

Der Lesung schloss sich eine sehr lebhafte Diskussion mit den zahlreichen Zuhörern an, die von Prof. Dr. Ulrich Moennig, dem Lehrstuhlinhaber für Neogräzistik an der Universität Hamburg, souverän moderiert wurde. Mehrere griechische Teilnehmer unter den Gästen konnten dabei in ihren Beiträgen ähnliche Schicksale wie das von Heinemanns Großmutter schildern, die Vorfahren von ihnen erlebt hatten. In die Diskussion war auch das Schicksal der Griechen aus der durch die russische Armee zerstörte Hafenstadt Marioupol in der Ukraine geflossen: deren Bewohner waren zum großen Teil Nachfahren von Schwarzmeer-Griechen, die im 18. Jahrhundert von der kleinasiatischen Küste ans Asowsche Meer fliehen mussten.


Der Autor Mirko Heinemann

Mirko Heinemann ist im nordgriechischen Thessaloniki geboren, als Sohn eines deutschen Vaters und einer griechischen Mutter, aufgewachsen in Bergisch-Gladbach. Heute lebt er in Berlin. Er studierte Publizistik mit Schwerpunkt Journalismus an der Freien Universität Berlin und arbeitete für die Deutsche Welle und den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Seit 2003 ist er als freier Journalist und Redakteur mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Kultur und Technologien tätig. Er schreibt vorwiegend für Magazine und Tageszeitungen und realisiert Beiträge und Features für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk, vor allem für den Deutschlandfunk, für den SWR und den WDR. Seit 2010 ist er außerdem als freier Chefredakteur für einen Wirtschaftsverlag tätig, der Themenmagazine für renommierte Titel wie Die Zeit, die Welt oder den Stern umsetzt. Herr Heinemann ist Träger des Journalistenpreises der Pall-Mall-Foundation.