Hellenen und Philhellenen – Dr. Constantin Gröhn

Hellenen und Philhellenen – Dr. Constantin Gröhn

Constantin Gröhn
Dr. Constantin Gröhn – Photo: Ulrich Schaarschmidt

Ein deutsch-griechischer Pastor schafft die Kultur zwischen den Kulturen

Die erste Berührung mit dem dunkelsten Kapitel deutsch-griechischer Geschichte hatte Constantin Gröhn bereits als Kind: Seine griechische Mutter stammt aus einer Region, in der die deutsche Wehrmacht im Dezember 1943 eines der schlimmsten Kriegsverbrechen verübte.

„Zu den Sommerurlauben in Griechenland“, erinnert er sich heute, „ging es – lange bevor die neuzeitliche Flugscham das Reisen trüben sollte – in die Heimat meiner Mutter, vor allem in die Gegend von Kalavryta. Dort auf der Peleponnes hatten deutsche Wehrmachtssoldaten das zahlenmäßig größte Massaker Griechenlands verübt. Witwen in Schwarz prägten das Stadtbild, als ich mit der älteren Schwester und meinen Eltern zu Familienbesuch auch in Kalavryta war.“

Die Gedenkstätte in Kalavryta. An diesem Hügel ist am 13. Dezember 1943 die männliche Bevölkerung des Ortes hingerichtet und das Dorf niedergebrannt worden – Photo: iStock.com/encrier

Die Erzählungen und Erlebnisse auf dem Peloponnes prägten ihn

„Schon damals erzählten mir meine Eltern von dem, was sich vor vielen Jahren dort ganz in der Nähe abgespielt hatte. Damit ich verstehen konnte, wieso die alte Frau im Geschäft, als wir nach Kalavryta zum Einkaufen fuhren, plötzlich anfing, ‚Hitler!‘ zu schreien: ‚Hitler! Hitler!‘, immer wieder, und ich bekam einen großen Schreck und fing an zu weinen.“

Noch viele Jahre später würde Constantin Gröhn sich erinnern, wie seine Großmutter mit harschem Gesichtsausdruck von den plündernden Horden der Deutschen erzählte: Σκληροί, hart waren sie, hart und grausam. „Ein Glück, dass sie ihren deutschen Schwiegersohn und ihren Enkel dennoch sehr ins Herz geschlossen hatte. Denn zu dieser Zeit konnten beide noch kein Griechisch, und Liebe musste sich in Zeichen üben.“

Mit Urgroßmutter aus Bouboukas
Constantin Gröhn mit seiner griechischen Urgroßmutter (aus der Gegend Kalavryta) – Photo: privat
2018, Plakat zum 75. Jahrestag des Massakers – Quelle: Gemeinde Kalavryta

Die Erzählungen und die Erlebnisse auf dem Peloponnes prägten Gröhn und festigten seinen Einsatz gegen das Vergessen. Er publizierte über die Naziverbrechen in Griechenland, veranstaltete Diskussionsabende in seiner Gemeinde und produzierte mit Schauspielern und Jugendlichen ein Hörspiel über das Kalavryta-Massaker.

Der Theologe und Pastor

Der 46-jährige Theologe und Pastor der evangelischen Kirche wurde in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein geboren. „In diesen Landkreis“, sagt er, „hatte mein Vater, Gerd Gröhn, meine Mutter, geborene Loula Stathoulia, ‚entführt‘. Aus einer lockeren Bekanntschaft im griechischen Urlaubsort Kyllini wurde holsteinischer Ernst.“

Constantin Gröhn als Pastor der St. Johannis-Gemeinde in Hamburg-Harvestehude – Photo:Ulrich Schaarschmidt

„Der Entschluss, Theologie zu studieren, kam für mein Umfeld und mich selbst etwas überraschend, aber der Geist weht ja, wo er will, wie es im Johannesevangelium heißt. Es war wohl die Lust, über die Welt ganz vielfältig nachdenken zu dürfen, ohne ihr das Geheimnis nehmen zu müssen, gepaart mit dem Interesse, ganz unmittelbar und vielfältig für Menschen da sein zu können.“

Die Athener Zeit

Beim Studium der Evangelischen Theologie in Kiel fasste Constantin Gröhn, für das verpflichtende Graecum über die Reden des Sokrates gebeugt, den Entschluss, Neugriechisch zu lernen und zwei Auslandssemester in Athen zu studieren. „Von 1998 bis 1999 war ich dann Gasthörer einer orthodoxen theologischen Fakultät und hatte nebenbei Zeit, die Schönheit des Landes und die immer wieder über­bordende griechische Gastfreundschaft kennenzulernen.“

Der Theologe mit der besonderen Neigung zur Kunst und Musik durchsuchte aber auch mit Freude griechische Plattenläden und verdiente sich im bekannten Athener Ausgehviertel Exarchia als DJ etwas dazu. Später, wieder in Deutschland, erwuchsen daraus von ihm gestaltete Hörabende: „Griechenland in der Steckdose“, wo er griechische Folkloremusik mit elektronischen Tönen mischte.

Während seines Aufenthalts in dem katholischen Studentenwohnheim des Jesuitenordens in der Nähe des Athener Hauptbahnhofs (Larissis Station), in dem er durch ein ökumenisches Stipendium wohnen durfte, lernte er aber auch das Leben von Minderheiten in der griechischen Hauptstadt kennen. „Gemeinsam mit zwei afrikanischen Freunden aus dem Wohnheim unterwegs, erfuhr ich indirekt, was es bedeutet, wenn kein Taxi mehr anhält, um einen mitzunehmen, und in der Diskothek der Einlass aufgrund der Hautfarbe verweigert wird.“

Zurückgekehrt nach Deutschland setzte Constantin Gröhn ab dem Wintersemester 1999 sein Studium an der Hamburger Universität fort.

Bei Urlauben und Besuchen Griechenlands in den 2000ern bestaunte er „die Wunder billiger Kredite und eines kurzfristigen Wirtschaftswachstums: In den Badeorten schossen Swimmingpools wie wuchernde Pilze aus dem Boden, sei es vor Clubs am Meer oder auf protzigen Privatanlagen. Mit der dann einsetzenden europäischen Finanzkrise traf es Land und Volk umso härter; und das Bild, auf den Hund gekommen zu sein, schien als Metapher nur allzu passend.“

Die Liebe zur elektronischen Musik

Lena-Platonos-Gallop-Cover
Die Musik der Pionierin der elektronischen Musik in Griechenland Lena Platonos beeindruckte Gröhn, der bereits in seiner Studienzeit damit selbst experimentierte. „In meinem kleinen WG-Zimmer in Kiel – sagt er – „war kein Platz für ein Klavier, sondern lediglich für zwei Plattenspieler und ein Mischpult, mit denen ich Tapes für Freunde mixte und dabei die Möglichkeiten auch durch eigene Feldaufnahmen und Klang-Experimente erweiterte.“

Die Selbstherrlichkeit, Geschichtsvergessenheit und der Eigennutz, mit dem in Deutschland während dieser Zeit über die Krise in Griechenland berichtet wurde, trieb Constantin Gröhn, inzwischen promoviert und Pfarrer, immer wieder um. Es ärgerte ihn, als die Geldgeber es zur Auflage von Krediten machten, dass Geschäfte am Sonntag zu öffnen haben.

Die griechische Finanzkrise – „Disziplinierung statt Solidarität“

Zur Documenta, die 2017 erstmals an zwei Orten, in Kassel und Athen, stattfand, zeigte er in „evangelisch.de“ auf, inwiefern „gerade wir Deutsche aus Sicht der Documenta auch ‚unsere Hausaufgaben‘ zu erledigen hätten und ‚von Athen lernen‘ sollten“.

Aber zu den nachhaltigsten Griechenlanderfahrungen gehören für Constantin Gröhn die von gleißendem Blau, duftendem Oregano und griechischen Olivenbäumen, „die älter sind als der christliche Glaube“.

Paradising

Paradising

„Wie wir uns innerhalb dieser noch paradiesischen Gegebenheiten bewähren, ist ein Gesichtspunkt meines 2021 mit der Theologin Sarah Köhler entworfenen Ansatzes Paradising. Denn Paradiese sollten ja nicht dem Bachelor von RTL vorbe­halten sein und auch nicht den Jägerinnen und Jägern der noch letzten vom Tourismus unentdeckten Orte. Auch das Vouraikos-Tal zwischen Kalavryta und Diakofto wird als Naturparadies von immer mehr Wandernden aus dem Ausland entdeckt. Dabei ist die Geschichte von dem, was 1943 dort passierte, vielen Followern des Ausflugtipps kaum oder überhaupt nicht bewusst.“

Die Entschuldigung und das Hörspiel

Mit einer kirchlichen Delegation um Landesbischof Gerhard Ulrich besuchte Constantin Gröhn 2018 Kalavryta; dort bat der damalige leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Ulrich aus seiner Position heraus um Entschuldigung.

Empfang bei Erzbischof Hieronymos 2018
Die Delegation der Evangelisch-Lutherischen Kirche wurde vom Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Hieronymos im Bistum empfangen – C.Gröhn vierter von rechts – Photo: Privat

Ebenfalls zu Kalavryta produzierte Constantin Gröhn mit Schauspielerinnen und Schauspielern, einer Gruppe von Jugendlichen seiner ehemaligen Gemeinde St. Johannis-Harvestehude und dem Radiokünstler Lasse-Marc Riek ein gleichnamiges Hörspiel. Es wurde im Dezember 2021 zum 200-jährigen griechischen Unabhängig­keits­jubiläums und 78. Jahrestag des Massakers mit Unterstützung der Landes­zentrale für politische Bildung veröffentlicht. So wird auch ein Stück Erinnerung – politisch wie familiär – von Generation zu Generation weitergetragen.

Das Hörspiel ist kostenlos abrufbar unter: www.kalavryta-hoerspiel.de


In der Reihe „Hellenen und Philhellenen“ sind bereits folgende Porträts erschienen:
Rainer Scheppelmann
Dr. Virginia Green
Prof. Dr. Stephan Henrich
Marily Stroux
Alkiviadis Thomas
Gerhard Folkerts
Daniela und Wolfgang Wehrmeier